IMPRESSIONEN
Ein
Weiterbildungswochenende in Sache SCHREIBEN ...
Xaver, der Seminar-Leiter macht eigentlich einen ganz
sympathischen Eindruck. Theresa rollt ein
kleiner Stein vom Herzen.
Die erste in der Vorstellungsrunde ist Nadja, und sie übt sich
schon mal ein bisschen in der Kunst der
Selbstdarstellung, ein nicht zu unterschätzender Faktor in
Künstlerkreisen, - und überhaupt.
Beneidenswert!
Es folgt eine Kostprobe von bereits Geschaffenem.
Kein Kommentar ...
Ja was denn nun ...?!
Weiter zur nächsten Teilnehmerin. Brigitte, allseits bekannt,
Vorstellung daher in verkürzter Fassung.
An dem von ihr vorgetragenen Text findet sich nichts zum
Bekritteln. Denkt Theresa. Xaver ist anderer
Meinung. Er steigt gleich voll ein. Sie alle sind ja hier, um
von ihm etwas zu lernen.
Das ehrfurchtgebietende Wort LITERATUR fällt, wird sogleich
mit dickem schwarzem Filzstift auf
weißem Papier niedergeschrieben. An der Anzeige-Staffelei.
Mahnend.
Von nun an schwebt das Wort wie ein Damoklesschwert über
Theresa. Schlichte
Unterhaltungs-Literatur ist damit bestimmt nicht gemeint.
Brigittes Text wird gründlich seziert und auf Fehler
aufmerksam gemacht. Aha, schon mal die erste
Lektion gelernt!
In dieser Manier wird es während der folgenden zwei Tage
weitergehen. Mit erstaunlicher Ausdauer
wird nach Perfektionismus gestrebt. Schreiben entpuppt sich
als die reinste Wissenschaft. Vieles will
Theresa einleuchten, manches nicht.
Für diesen Abend, den ersten, wird es Zeit, Schluss zu machen.
Daheim überkommt Theresa die Lust, sich aus nacktem Frust die
Haare zu raufen.
Am Morgen darauf geht es weiter mit Tina, einer neu
Hinzugekommenen. Auch aus dem Lager der
Lyrikerinnen.
Nach ihr kommt Fabienne, eine Achtzehnjährige mit enormem
Talent.
Die Nächste ist Doris. Die erste und zugleich letzte Kostprobe
ihres Könnens hat Theresa vor über
einem Jahr vernommen. Damals hätte sie es gewagt, sich mit ihr
auf dieselbe Stufe zu stellen.
Doris hat aufgeholt.
Mann oh Mann! ... Verzeihung: Frau oh Frau!
Nun ist die Reihe an Theresa. Holpernd kommt sie in Fahrt und
rückt gleich damit heraus, dass ihre
Teilnahme an diesem Seminar nur der Überredungskunst von
Brigitte und Nadja zu verdanken sei. Im
selben Atemzug schließt sie an, dass ihr dieses
schwarzprangende Wort LITERATUR vom ersten
Moment an einen Schrecken eingejagt habe.
„Ja, warum denn?“, will Xaver wissen, und auch was sie denn
so lese.
„Unterhaltungsromane halt: Krimis, Abenteuer- und
Liebesromane.“
„Finden Sie, Henning Mankell schreibt keine Literatur?“
„Oh doch. Natürlich.“, sagt Theresa und denkt: ‚Aber ich bin
nicht Mankell.’
Schicksalsergeben trägt sie ihre Leseprobe vor.
Danach, der Meister, ganz streng: „Theresa, ich will von Ihnen
nie mehr hören, dass Sie sich selbst
heruntermachen.“
Aha, also doch akzeptabel ...
So schlecht ist sie ja auch nicht, in ihrem Metier. Nur mit
Lyrik, und lyrischer Prosa hat sie nichts am
Hut.
Die Nächste ist Nora, und die spielt sowieso in der obersten
Liga. Auch bei ihr bleibt Xaver verdächtig
sprachlos.
Nun geht’s ans Theoretische. Das Praktische – eine
Kurzgeschichte zu einem vorgegebenen Titel – soll
nach der Mittagspause angegangen werden.
Beim Essen werden die ersten Klagen über ausbleibendes
Feedback laut. Was, wie Xaver später noch
zu verstehen geben wird, als positiv zu betrachten ist. Denn
er versteht sich in dieser Runde nicht als
lobpreisender Beurteiler, sondern als Hinweiser auf Schwächen
und Fehler. Der Mann wird Theresa
zunehmend sympathischer.
Bis zum Ende der Mittagspause bleibt noch etwas Zeit, die
Theresa nützen will, um sich im
Seminar-Raum, trotz Anwesenheit Nadjas, Noras und Fabiennes,
beim Lesen eines Mysterie-Thrillers
ein bisschen zu entspannen.
Nadja lästert mal wieder über eine andere, weibliche
Angehörige der hobbymäßig schreibenden Zunft.
Welch eine desillusionierende Diskrepanz zwischen dem
Verfassen schöner, gefühlvoller Texte und
dieser Bösartigkeit!
Xaver und die letzten Teilnehmerinnen trudeln ein.
Nun wird es ernst.
Nadja sondert sich ab, denn – so sagt sie – sie kann nicht mit
all den anderen in einem Raum arbeiten.
Emsig machen sich die Damen ans Werk. Gar manche Stirn ist in
tiefster Konzentration gefurcht, so
mancher Fingernagel muss dran glauben.
Nadja kehrt zurück. Das Vorlesen der erarbeiteten Texte
beginnt.
Theresa schrumpft, je mehr sie zu hören bekommt. ‚Du lieber
Gott, worauf hab’ ich mich da bloß
eingelassen! Aber ich hab’ es ja gewusst, geschieht mir also
vollkommen Recht!’
Nadja hat, wie sich herausstellt, keine Geschichte
vorzuweisen. „Tut mir Leid! Ich kann nicht auf
Anweisung innerhalb einer Dreiviertelstunde einen Text aus mir
herauspressen.“
Xaver: „Streiken Sie?“
„Aber nein. Mir war nur die Zeit zu kurz.“
Ein Hin und Her. Resultat: Spannung liegt in der Luft.
Brigitte bemüht sich, sie zu beheben, indem sie vermittelnd
eingreift.
Irgendwann ist Theresa an der Reihe. Einer mittleren
Depression nahe, unternimmt sie einen weiteren
Versuch, ihren Standpunkt, wie auch ihr stinknormales
Geschreibsel, zu erklären: „Was ist mit jenen
Leuten, die sich von einem Lesestoff nur Unterhaltung, also
nicht ...“
Alle im Chor: „Schsch! Das wollen wir jetzt nicht hören.“
Beredte Blicke werden ausgetauscht. „Diese Banausin! Muss sie
uns immer damit kommen?! - Wer
sich nicht zumindest ein kleines bisschen anstrengen will, hat
es auch nicht verdient, das von uns
Geschaffene zu verstehen. Der soll doch mit Stephen King oder
Rosamunde Pilcher glücklich werden!“
Theresa schrumpft noch mehr.
Jetzt bräuchte sie eine Zauberfee, die ihre Alltagsgeschichte
in etwas Wundervolles, Einmaliges zu
verwandeln vermag. Nur, - Wunder geschehen bekanntlich selten.
Mit dem Mut der Verzweiflung stürzt sie sich ins Vorlesen.
Der anschließende Kommentar fällt verhältnismäßig schonend
aus.
Theresa unterstellt Xaver insgeheim einen aufkeimenden
Verdacht: „Bei der ist Hopfen und Malz
verloren.“
Selbstverständlich würde er das s o nicht formulieren,
sondern entsprechend Literary-like.
Am nächsten Morgen streckt Nadja Xaver ein beschriebenes Blatt
unter die Nase. „Damit Sie sehen,
dass ich meine Hausaufgabe gemacht habe. Gestern haben wir ja
offenbar aneinander vorbeigeredet.“
Xaver liest, und man merkt, er ist beeindruckt.
Es herrscht wieder eitel Wonne. Eines seiner
vielversprechendsten Pferdchen zieht wieder mit am
gemeinsamen Strang.
Denn, dass am Abend bei der Schlussmatinee entweder alle den
literarischen Olymp ersteigen, oder
aber alle gemeinsam untergehen, das gibt er im Laufe des Tages
noch ausdrücklich zu verstehen.
Theresa stellen sich die Haare auf, und sie glaubt zu spüren,
wie sich das eine und andere Augenpaar in
sie bohrt. Das Wissen um ihr Unvermögen, ein Meisterwerk zu
schaffen, lastet schwer auf ihr.
Vielleicht wäre es das Beste auf ihren ‚künstlerischen’
Beitrag an der Matinee zu verzichten?
Doch nein, warum sollte sie? Sie hat nicht weniger für diesen
Kurs hingeblättert, als die anderen.
Noch hat sie sich ihre Meinung, dass auch Otto und Ottilie
Normalsterblich ein Recht auf leicht
verständliche Lektüre haben, nicht ganz austreiben lassen.
Geschrieben wird nicht nur für eine
sogenannte geistige Elite, jawoll!!!
Dennoch nimmt sie fast dankbar den Vorschlag an, nur eines
ihrer ‚Werke’, nämlich jenes, das bis auf
ein paar kleine ‚Ausbesserungen’ bereits vor diesem Wochenende
zustande gekommen war,
vorzutragen. Sie lässt sich gerne einreden, dass sie mangels
schauspielerischer Ausdruckskraft das
zweite Stück nicht so recht zur Geltung bringen könne.
Und sie taucht in die Gedankengänge der Anderen ein: „Als
erste Leserin, und mit dem vorgesehenen,
kurzen Text kann sie wohl nicht viel Schaden anrichten. So
Gott uns beisteht, werden wir auch mit
Theresa auf den uns gebührenden Erfolg nicht verzichten
müssen.“
Es ist geschafft ...
Theresas nicht gerade tragende Stimme ist im Getöse des
Ventilators untergegangen. Auch von
Fabienne wurde nicht viel gehört, was schade ist. Die
restlichen Autorinnen sind, nach dem Umzug in
einen ruhigeren Raum, zu wahren Höchstleistungen aufgelaufen.
Jetzt können sich alle getrost in die Kreise der Zuhörerschaft
begeben, um das eine und andere Lob
entgegenzunehmen, mehr oder weniger bescheiden lächelnd. zurück |