Kapitel 1
Aufatmend stellte Francesca
den Motor ihres Golfs ab. Und jetzt, da die Anspannung von ihr abfiel, überkam
sie das große Zittern. Viel fehlte nicht, und ihr Ausflug nach Verona hätte in
einer Katastrophe geendet.
Kurz
abgelenkt durch einen vom Straßenrand auffliegenden Vogel …
Buchstäblich
in letzter Sekunde sah sie den Mann auf der Straße. Nach ihrem, von
Reifenqietschen begleiteten Bremsmanöver trennten den Golf und den Passanten nur
noch Zentimeter. Kaum hatte der Mann seinen ersten Schock überwunden, schlug er
mit der Faust auf die Motorhaube und ließ ein paar deftige Flüche vom Stapel.
Erst das wiederholte Hupen des Fahrers hinter Francesca veranlasste ihn
schließlich, die Fahrbahn zu räumen. Doch selbst noch auf der anderen
Straßenseite ging das Schimpfen weiter, erhobener Stinkefinger inklusive. Ein
angenehmer Zeitgenosse. Andernteils war es sein gutes Recht, erbost zu sein.
Typisch für sie, hatte sie sich während der Weiterfahrt nach
Lazise in den schlimmsten Bildern die Folgen ausgemalt, wäre ihr Auto nicht
rechtzeitig zum Stehen gekommen. Wie in einer Zeitschleife flog der Mann wieder
und wieder durch die Luft, prallte auf der Straße auf und rings um ihn breitete
sich Blut aus. Mit jeder Wiederholung sah sie mehr schreckliche Details.
‚Es ist ja noch mal gut gegangen, Francesca, also beruhige
dich!’
Eine leichte
Abendbrise wehte ihr Haarsträhnen ins Gesicht und bauschte ihren knielangen
Rock, als sie aus dem Auto stieg und auf den Eingang der kleinen Pension zuging.
Sie sehnte sich nach einem langen, entspannenden Bad. Sollte sich ihr Appetit,
den sie durch den ausgestandenen Schrecken verloren hatte, doch wieder
einstellen, konnte sie danach immer noch das ‚Peppino’ aufsuchen und sich
Cannelloni ‚Salmone e Gamberetti’ gönnen.
Die
Cannelloni hatten ausgezeichnet geschmeckt, der Wein dazu ebenfalls. Als der
Kellner das Geschirr abräumte und fragte, ob er ihr noch ein Glas Wein bringen
dürfe, oder sie sonst einen Wunsch habe, bestellte Francesca sich einen Amaretto.
Am Likör
nippend, nahm sie beiläufig die anderen Gäste in Augenschein. Ein Paar an der
Theke erregte ihre Aufmerksamkeit. ‚Black and White’, schoss es ihr unvermittelt
durch den Sinn. Er schwarzhaarig, sie hellblond wie einst Marilyn Monroe. Und,
wie es schien, schwer verliebt. Zumindest was die Frau betraf – sie himmelte
ihren Begleiter geradezu an.
Die langen
Finger des Mannes pflügten verspielt durch die schulterlangen Haare der Frau,
während sein träger Blick über ihren Kopf hinweg durch das Restaurant schweifte.
‚Schau her
zu mir!’ Nanu, was war das denn für ein Gedanke! Im nächsten Augenblick hoffte
Francesca nur noch, er möge sie nicht bemerken. Zeit, sich von der Verwirrung
über ihre konträren und noch dazu ihr völlig unverständlichen Gedankenblitze zu
erholen, blieb ihr keine mehr – der Blick des Mannes erfasste sie. Unangenehm
berührt schaute Francesca weg. Nicht für lange. Aus dem Augenwinkel schielte sie
wieder zu dem Paar hin.
Einen
Ellbogen auf der Tresenplatte, in der einen Hand einen voluminösen
Kognakschwenker, strich er sich mit der anderen seine dunklen Locken aus der
Stirn – eine Fotomodell-Pose, allerdings völlig ungekünstelt. Seine Begleiterin
fing die Hand ab und küsste seine Finger. Sie warf ihre Arme um seinen Hals und
küsste ihn auf den Mund.
Fasziniert
beobachtete Francesca die beiden. Sie waren ein außergewöhnlich schönes Paar. Er
schätzungsweise Mitte dreißig, groß, schlank, eine Figur wie ein Leichtathlet.
Der Kontrast zwischen dunklem Haar und hellen Augen (die Farbe ließ sich auf
diese Entfernung nicht erkennen) trug zur allgemeinen Wirkung noch bei. Die
Frau, mindestens zehn Jahre jünger, auch nicht gerade klein, gertenschlank, das
Haar vermutlich naturblond, gleichfalls helläugig (Francesca tippte auf blau),
das Gesicht wunderbar ebenmäßig, die Züge fein modelliert.
Spürte der
Mann, dass er beobachtet wurde oder sah er zufällig in Francescas Richtung? Ihre
Blicke trafen sich erneut. Diesmal wich sie nicht mehr aus. Nach einer gefühlten
kleinen Ewigkeit senkte er wieder den Kopf und küsste seine Freundin
genießerisch. Seine Augen blieben auf Francesca gerichtet, ließen sie nicht los.
Ein leichtes, spöttisches Lächeln überflog sein Gesicht, als er den Kuss
beendete.
Unbewusst
wechselte Francescas Gesichtsausdruck, ein verächtlicher Zug legte sich um ihren
Mund.
Endlich
gelang es ihr, ihren Blick zu lösen. Sie nahm ihre Umhängetasche und suchte den
Toilettenraum auf. ‚Francesca, ergreifst du etwa die Flucht?’ Nicht
auszuschließen. Es gab aber noch einen Grund: das unerwartete Bedürfnis, etwas
für ihr Äußeres zu tun. Nicht, dass sie sich etwa der Illusion hingab, sie
könnte sich durch ein bisschen Nachhilfe in eine Schönheit wie diese Blondine
verwandeln, aber sie wollte auf einmal so attraktiv wie nur möglich aussehen.
Ihr – wie sie meinte - einziges Plus war ihre noch immer feste, schlanke, sogar
zierliche Figur, die sich seit ihrer Jugendzeit kaum verändert hatte. Dagegen
war sie mit ihrem Gesicht noch nie wirklich zufrieden gewesen. Sie empfand ihr
Aussehen als langweilig, durchschnittlich. Dass der größte Teil der Menschheit
mit einem eher durchschnittlichen Aussehen durchs Leben wandelt, war ihr nur ein
geringer Trost. Sie verstand es, selbstbewusst
aufzutreten, doch im Grunde nagten fast ständig Selbstzweifel an ihr. Das
kontinuierliche Zusteuern ihrer Ehe auf das Aus hatte das seine dazu
beigetragen, ihr karges Selbstvertrauen noch weiter zu dezimieren.
Manchmal
fühlte sie sich wie am Ende ihres Lebens, fühlte sie sich uralt. Große
Erwartungen an die Zukunft hatte sie vielleicht mit fünfundzwanzig noch gehabt,
mittlerweile hatten sich alle verflüchtigt. An besseren Tagen sagte sie sich,
dass auch wieder gute Zeiten kommen würden, dass das Leben mit sechsunddreißig
nicht vorbei war, nur weil eine Ehe nach zwölf Jahren endgültig gescheitert war.
Mit siebzehn
hatte sie den drei Jahre älteren Bernd kennengelernt. Sie war sofort hin und weg
gewesen, hielt ihn für die Liebe ihres Lebens. Dank dieser – aus jetziger Sicht
betrachtet – unseligen, geradezu abgöttischen Liebe hatte sie die zeitweiligen
Trennungen – stets dann, wenn Bernd das Verlangen nach Freiheit und anderen
Frauen überkam – immer wieder hingenommen. Als sie ihn schließlich mit
vierundzwanzig heiratete, schien er sich vorerst die Hörner genügend abgestoßen
zu haben.
Während
dieser aufreibenden sieben vorehelichen Jahre hatte Francesca sich nur ein
einziges Mal mit einem anderen Mann eingelassen. Die kurze Affäre war eine
Enttäuschung gewesen, darum hatte sie es erst gar nicht nochmals mit einem
anderen probiert. Stattdessen hatte sie den unberechenbaren, instabilen, von
Mädchen und Frauen umschwärmten Bernd stets wieder willkommen geheißen, sobald
er reumütig zu ihr zurückkehrte.
Möglich,
dass Bernd sich am Anfang ihrer Ehe tatsächlich zusammengerissen hatte,
wahrscheinlicher jedoch war es, dass sie sich schon damals selbst getäuscht und
ihre, im Laufe der Jahre perfektionierte Vogel-Strauß-Taktik betrieben hatte:
den Kopf in den Sand stecken um nichts zu hören und zu sehen. Nach etwa neun
Ehejahren ließ sich aber beim besten Willen nicht mehr ignorieren, dass Bernd
seine Freiheitsgelüste zunehmend ausgedehnt hatte und ein Leben führte, als wäre
er ungebunden. Trotzdem hielt Francesca weitere zweieinhalb Jahre durch, war
aber immer weniger gewillt, seine Seitensprünge zu tolerieren. Streitereien,
Schuldzuweisungen, Wutausbrüche, und Tränen ihrerseits mehrten sich. Dann fand
sie eine kleine, günstige Wohnung und zog aus der gemeinsamen aus. Eine Woche
darauf reichte sie die Scheidung ein. Im Gegensatz zu Bernd hatte sie immer
Kinder gewollt; jetzt schätzte sie sich glücklich, keine zu haben. Sie hatte
ihren Beruf ununterbrochen ausgeübt, und ihre finanzielle Unabhängigkeit kam ihr
nun zugute.
Bernd
reagierte mit einer geradezu grotesken Fassungslosigkeit. Offenbar hatte er nie
in Erwägung gezogen, dass Francesca ihre Drohungen wahr machen könnte. Seit die
Gerichtspapiere ins Haus geflattert waren, bemühte er sich mit Versprechungen,
Jammern, Liebesbeteuerungen und Geschenken, die sie zurückwies, aber auch mit
Vorwürfen und Erpressungsversuchen der psychischen Art, Francesca wieder in die
gemeinsame Wohnung zu locken und zur Zurücknahme des Scheidungsantrags zu
überreden. Aber sie hatte endgültig die Nase voll und wartete nur noch auf den
Scheidungstermin, um unter dieses Kapitel ihres Lebens den Schlusspunkt setzen
zu können.
Vor der Tür
zu den Toiletten lümmelte ein Betrunkener herum. Im Vorbeigehen hörte Francesca
ihn etwas Unverständliches brummen. Sie beachtete ihn nicht weiter.
Vor dem
Spiegel zog sie ihre Lippen nach. Auch der Lidstrich um ihre grau-grünen Augen
wurde erneuert. Noch ein paar Bürstenstriche durch ihre dunkle, rötlich
schimmernde Mähne – mehr konnte sie nicht tun.
Da flog die
Tür auf.
Als sie den
Mann im Spiegel sah, packte er sie auch schon von hinten. Es war der Betrunkene,
an dem sie vorhin vorbeigekommen war. Vor Überraschung und Schreck stand
Francesca einen Augenblick still. Dann riss sie sich los. Die Hände des Mannes
glitten von ihr, er torkelte gegen das Waschbecken. Schleunigst ergriff sie ihre
Tasche und wollte zum Ausgang. So unbeholfen, wie sie angenommen hatte, war der
Kerl aber nicht, er erwischte ihren rechten Arm und zog sie zurück. Sein
säuerlicher Atem schlug ihr entgegen, sodass ihr beinahe übel wurde. „Lass mich
los!“, fuhr sie ihn mehr verärgert als verängstigt auf Italienisch an. Vor sich
hin brabbelnd drückte er sie in den Winkel zwischen Wand und Waschbecken. Weil
sie sich nicht anders zu helfen wusste, versetzte sie seinem Schienbein einen
Stoß. Aufjaulend ließ er von ihr ab und taumelte gegen die Wand.
Francesca
schlüpfte zur Tür hinaus, wurde aber ruckartig gebremst. Einer der langen Riemen
ihrer Umhängetasche hatte sich am Türgriff verhängt. Sie reagierte schnell, aber
nicht schnell genug. Erneut bekam der Betrunkene sie zu fassen. Er umklammerte
ihre Arme so fest, dass es wehtat und gab schmatzende Geräusche von sich. „Ich
möchte dich doch nur küssen, schöne Frau“, nuschelte er.
Francesca
wusste nicht, sollte sie lachen oder zornig werden. Sein Kopf rückte näher. Sie
bog sich nach hinten und verdrehte sich in dem Bemühen, ihm auszuweichen, fast
den Hals. „Du stinkst aus dem Mund.“
Als ihr
Winden und Sich-Verrenken nichts fruchtete, schnauzte sie ihn an: „Langsam
reicht es mir! Lass mich sofort los!“
Der
Italiener hatte anderes im Sinn. Vulgäre Worte lallend packte er noch fester zu,
presste seinen Unterleib gegen sie und schnappte nach ihren Lippen. Francesca,
die ihn bis dahin für aufdringlich aber harmlos gehalten hatte, bekam es mit der
Angst zu tun. Nun schon leicht panisch setzte sie sich vehementer zur Wehr,
erreichte aber nur, dass er sie noch mehr in die Enge trieb.
Plötzlich
merkte sie, dass sie nicht mehr allein waren. Romeo stand neben dem Eingang zur
Herrentoilette. Wie lange schon? Bevor sie noch richtig zornig werden konnte,
spürte sie die feuchten Lippen ihres Angreifers über ihre Wange gleiten und sie
schauderte vor Ekel.
Romeo
hüstelte.
An seinem
Anspannen erkannte Francesca, dass ihr Widersacher es vernommen hatte. Das
hinderte ihn aber nicht daran, sie weiterhin festzuhalten.
Romeo
hüstelte nochmals.
„Ist was?“
Der Italiener wandte sich ihm halb zu. Eilig die Gelegenheit nützend, trat
Francesca mit der Ferse auf seine Zehen. Durch die dünne Sandalensohle konnte
sie spüren, dass sie ihn nicht richtig erwischt hatte. Doch ihre Attacke reizte
ihn und er holte zu einer Ohrfeige aus, zögerte aber zuzuschlagen.
Auf einmal
stand Romeo neben ihnen. Seine Präsenz bewirkte, dass der Betrunkene endlich von
ihr abließ.
Kaum frei,
war Francesca die Situation mit einem Male furchtbar peinlich. „Immer mit der
Ruhe …“ Ausgerechnet jetzt, da zu befürchten stand, dass die beiden Männer an
einander geraten könnten, versagte ihr die Stimme; mehr als ein Flüstern brachte
sie nicht zustande.
Glücklicherweise erwies sich ihre Besorgnis als unnötig – ihr sex- oder
liebeshungriger Plagegeist setzte sich einfach auf den Boden. Francesca hätte
über seinen skurril-erbärmlichen Anblick fast gelacht. Sie machte, dass sie
davonkam. Als sie an dem schönen Romeo vorbeirauschte, fauchte sie: „Ich hoffe,
Sie haben sich gut amüsiert!“
Ob und wie
er reagierte, bekam sie nicht mit – sie war schon bei der Tür zum Gastraum,
stieß sie auf und ließ sie hinter sich zufallen.
Zurück an
ihrem Tisch, stellte sich dann doch leichtes Zittern ein. Was war das heute nur
für ein Tag! Sie winkte den Ober herbei und verlangte die Rechnung.
„Sprichst du
Deutsch?“
Im
Herumfahren stieß sie das Likörglas um. Romeo stand hinter ihr! Und Romeo war
Deutscher.
Selbst aus
dieser Nähe war nicht der geringste Makel an ihm zu entdecken.
Francesca
wollte eigentlich gar nicht antworten, doch ihr Kopf bewegte sich wie von
selbst. Sie nickte stumm, während Bewunderung und Widerwillen miteinander im
Clinch lagen. Sie schaute zur Theke. Mittlerweile standen dort andere Leute, von
der schönen Blondine keine Spur.
„Darf ich
dir etwas zu trinken bestellen?“ Er sprach überdeutlich, schien sich nicht
sicher, ob sie ihn verstand.
„Nein.“
„Nein?“
„Nein“,
wiederholte sie. „Verschwinden Sie.“
Seine
schwarzen Brauen formten sich zu Rundbögen. Verwunderung stand in seinen Augen.
Mann, was für Augen! Groß, grün, von langen, schwarzen Wimpern umgeben.
Verwirrt
stellte Francesca fest, dass ihr Herz auf einmal schneller schlug, dass dieser
Deutsche sie völlig durcheinander brachte. Das machte sie wütend. Der Mann war
das Sinnbild des Verführers. ‚Francesca, Francesca, hast du nicht genau solche
Beschreibungen in Romanen immer als besonders lächerlich empfunden?’ Das war
allerdings bevor ihr dieser Kerl mit seiner vermaledeiten Ausstrahlung und einem
Sex-Appeal, der verboten gehörte, begegnet war.
Am liebsten
hätte sie unter dem Tisch mit dem Fuß aufgestampft, so hilflos fühlte sie sich.
Hilflos, unsicher und zornig. Zornig auf ihn, auf sich, auf die ganze Welt. Sie
riss ihren Blick von ihm los und kehrte ihm den Rücken zu.
Aber er ließ
sich nicht abwimmeln. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.
„Na, hören
Sie mal! Haben Sie nicht verstanden? Ich bin nicht scharf auf Ihre
Gesellschaft.“
Spürte er,
wie nervös er sie machte? Es sah fast so aus.
Francesca
lag eine weitere, scharfe Bemerkung auf der Zunge, aber sie zügelte sich.
Stattdessen fragte sie sich, warum sie – ganz entgegen ihrer eigentlichen Art –
so unhöflich war. Er hatte ihr schließlich nichts getan. Sein einziger Fehler
war, dass er einfach zu gut aussah. Nein, das traf es nicht genau – sein Fehler
war, dass er sich seines Aussehens zu bewusst war.
„Warum lässt
du dich nicht von mir einladen?“
Francesca
machte eine Bewegung zur Theke hin. „Wo ist Ihre Freundin geblieben?“
„Gianna
musste nach Hause“, gab er mit einem feinen Lächeln Auskunft. „Zu ihrem Mann.“
So, so, die
Blonde war also verheiratet! Francesca beschloss, den Deutschen von nun an zu
ignorieren. Wann kam der lahmarschige Kellner endlich mit der Rechnung?
„Würdest du
mir verraten, was du da draußen, bei den Toiletten zu mir gesagt hast?“
„Sie sind ja
immer noch da!“ Von wegen Ignorieren. Wenn das so einfach wäre!
„Ich würde
es wirklich gern wissen.“
„Können Sie
sich das nicht denken?“
Er ließ
nicht locker – in stummem Kampf kreuzten sich ihre Blicke. Schließlich zuckte
Francesca die Achseln, um ihm zu verdeutlichen, wie sie das alles anödete. „Ich
wollte wissen, ob Sie sich gut unterhalten haben.“
„Hab ich mir
doch gedacht, dass es keine Dankesworte waren.“
Sein
amüsiertes Lächeln machte sie schwach - beinahe hätte sie es erwidert. Aber
schon schaltete sie wieder auf stur und unnahbar. „Würden Sie mich jetzt endlich
in Ruhe lassen?“
„Was hast du
gegen mich?“
So direkt
darauf angesprochen, wurde sie verlegen. Sie murmelte: „Nehmen Sie es nicht
persönlich.“
„Ach nein?
Wie denn sonst?“
‚Was für ein
hartnäckiger Mensch!’, grollte Francesca innerlich. Aber dann sah sie ein, dass
sie sein Nachfragen geradezu herausgefordert hatte und beschloss bei der
Wahrheit zu bleiben. Auch wenn sie sich damit eine Blöße gab. Aber da sie den
Kerl ohnehin nicht mehr wiedersehen würde, konnte ihr das egal sein. „Ich habe
ganz allgemein etwas gegen Männer, die so aussehen wie Sie.“ Nur, wann war sie
je einem Mann mit seinem Äußeren begegnet? Im wirklichen Leben sicher nicht, und
von all den super aussehenden Typen der Filmwelt käme ihm eventuell noch eine
etwas reifere Ausgabe von Ian Sommerhalder am Nähesten. Doch fehlte dem
Schauspieler dieses gewisse Etwas, über das dieser Kerl hier so übermäßig
verfügte.
Einen
Augenblick schwieg er, ehrlich verblüfft, ehe er forderte: „Also, das musst du
mir schon erklären.“
„Tut mir
leid, keine Lust.“ Demonstrativ wandte sie sich von ihm ab.
Er gab auf
und erhob sich. „Arrivederci, Signorina.“
Francesca
lauschte dem spöttischen Klang seiner Stimme nach und entspannte sich
allmählich. Jetzt erschien auch endlich der Ober mit der Rechnung.
Um zum
Lokal-Ausgang zu gelangen musste sie an der Theke vorbei. Dort lehnte Adonis,
allein, und nickte ihr wie zum Abschied zu. Gnädig nickte sie zurück. Sich
sicher, von seinem Blick verfolgt zu werden, betete sie darum nicht ins Stolpern
zu geraten. Die Türklinke bereits in der Hand, machte sie wie ferngesteuert
kehrt und ohne vorher auch nur ein bisschen nachzudenken, schoss sie ihre Frage
ab: „Sind Sie ein Gigolo?“ Wie kam sie bloß auf diese Frage, und vor allem:
Woher nahm sie diese Unverfrorenheit? Anscheinend war sie heute nicht nur ein
wenig neben der Spur, sondern total.
Er war
zunächst sprachlos. Dann brach er in Lachen aus, ein Lachen, das ihr ein
Kribbeln im Magen bescherte. Eine plötzliche Schwäche in ihren Knien zwang sie,
sich neben ihm gegen den Tresen zu lehnen.
„Sehe ich
aus wie ein Mann, der von einer Frau für gewisse … Tätigkeiten Geld
nimmt?“
Sein
spitzbübischer Spott machte sie ratlos, ihr fiel keine passende Entgegnung ein.
Von dem dringenden Wunsch getrieben, die Flucht zu ergreifen, wandte sie sich
wieder dem Ausgang zu. Aber so einfach ließ er sie nicht davonkommen. „Hast du
befürchtet, du könntest dir mich nicht leisten?“
So eine
Unverschämtheit! Francesca wollte schon aufbrausen, als ihr einfiel, dass ihre
eigene Frage nicht minder unverschämt gewesen war. Also klappte sie ihren Mund
wieder zu. Doch ganz so ohne Weiteres wollte sie seine Provokation nicht
hinnehmen. „Sehe ich aus wie eine Frau, die einen Mann für … was auch immer,
bezahlt?“
„Touchè.“
Sichtlich erheitert streckte er die Hand nach ihr aus, berührte sie aber nicht.
„Komm, lass dich auf ein Glas Wein einladen.“
„Nein.
Keinen Alkohol mehr. Ich fürchte, ich bin so schon nicht mehr ganz
zurechnungsfähig.“
Wieder
lachte er; ein gutmütiges, humorvolles Lachen. „Dann vielleicht auf einen
Kaffee?“
Sie
schüttelte den Kopf, mit dem Ergebnis, dass ihr leicht schwindelte. „Davon habe
ich heute auch schon genug getrunken.“
Überlegend
sah er sie an. „Wie wär’s mit Eis? Ich weiß, wo es das beste Eis in ganz Lazise
gibt.“
Francescas
Widerstand bröckelte, fiel in sich zusammen. „Okay, ein Eis wäre nicht
schlecht.“
Wie
selbstverständlich nahm er sie beim Arm.
Er lotste
sie zu einem schwarz und silbern lackierten Jeep.
„Ich muss
verrückt sein“, murmelte sie, während sie sich anschnallte.
„Hm? Was
hast du gesagt?“ Er warf ihr einen fragenden Seitenblick zu und steckte den
Schlüssel ins Zündschloss.
„Dass ich
wahrscheinlich im Laufe des heutigen Tages meinen Verstand verloren habe.“
„Warum das
denn?“
Francesca
blieb ihm eine Antwort schuldig. Geistreich wäre diese sowieso nicht
ausgefallen. Während er den Wagen vom Parkplatz auf die Straße lenkte, sagte er
in belustigtem Tonfall: „Ich bin seit siebzehn Jahren im Besitz eines
Führerscheins, falls es das ist, was dich beunruhigt.“ Er bedachte sie mit einem
wissenden Blick. „Aber ich schätze, das ist es nicht. – Ich kann dir versichern,
ich bin weder ein Vergewaltiger, noch ein Menschenfresser.“
„Aber ein
Frauenvernascher.“ Erst als er herzhaft auflachte, wurde ihr bewusst, dass sie
laut gedacht hatte.
„Alle
Achtung, du bist echt amüsant!“
„Freut mich,
dass ich dich nicht langweile.“
„Die Gefahr
dürfte nicht bestehen.“ Er betätigte den Blinker, bremste leicht ab und bog dann
in eine Querstraße ein. Nach einer Weile ergriff er erneut das Wort: „Ich heiße
Adrian. Und du?“
„Francesca.“
„Franziska?“, fragte er nach.
Sie
schüttelte den Kopf. „Nein. Francesca, italienisch. – Meine Mutter stammt aus
Salerno.“
„Deshalb
sprichst du so gut Italienisch. – Aber du bist Österreicherin, stimmt’s?“
„Ja,
Salzburgerin, Stadt und Land.“
„Ich kenne
die Stadt ein bisschen. – Ich wohne in München. – So, da wären wir.“ Routiniert
parkte er seinen Jeep in die schmale Lücke zwischen einem BMW und einem Alfa
ein.
In der
Gelateria nahmen sie an einem kleinen, weißlackierten Tisch mit runder Platte
Platz. Er reichte ihr die Eiskarte. „Ich kenne ja deinen Geschmack nicht, aber
der Fruchtbecher hier ist absolut Spitze.“
„Gut,
überredet.“
Nachdem sie
bei der blutjungen, hübschen Serviererin bestellt hatten, begann Francesca sich
zunehmend fehl am Platz zu fühlen. Unter seinem gelassenen, beobachtenden Blick
stieg ihre Nervosität rapide an. Unvermittelt fragte sie, nun gleichfalls zum
‚Du‘ übergehend: „Verrate mir doch bitte eines: Was hat dich veranlasst, mir
gegenüber so hartnäckig zu sein? Ich meine, wenn du auf Eroberung aus bist,
hättest du dich doch nur im ‚Peppino’ umzusehen brauchen – da waren mindestens
zwei hübsche Frauen, die dich kaum aus den Augen gelassen haben.“
Ihre
Direktheit irritierte ihn einen Moment, nicht zum ersten Mal an diesem Abend.
„Du hast meine Neugier geweckt.“
„Ich? Womit
denn?“
„Sagen wir
mit deinen Ecken und Kanten. Normalerweise sind Frauen mir gegenüber nicht so
abweisend.“
„Und das hat
deinen Jagdinstinkt geweckt?“, fragte sie ironisch.
„Sagen wir
so: Du hast etwas an dir, das mich reizt. Es liegt mir fern zu prahlen, aber
seit ich dem Pubertätsalter entwachsen bin, hat mich kein weibliches Wesen mehr
so abblitzen lassen wie du.“
„Ich bin
versucht, dir das zu glauben“, versicherte sie ihm.
Wieder
lachte er, und wieder brachte er damit ihre Gefühle durcheinander. Er war zwar
viel zu selbstbewusst, aber jedwede Arroganz schien ihm zu fehlen. Im Gegenteil,
er gab sich völlig natürlich. Und er verfügte über Humor. Damit hatte er bei ihr
schon mal einen Stein im Brett.
„Machst du
hier Urlaub?“, unterbrach er ihre Überlegungen.
„Nein. Ich
bin sozusagen auf der Rückreise von meinem jährlichen Verwandten-Besuch in
Salerno.“
„Ach so. –
Du hast also einen Zwischenstopp hier in Lazise eingelegt.“
„So könnte
man sagen. Ich bin aber schon seit drei Tagen da.“
„Und wie
lange bleibst du noch?“
„Morgen
geht’s heimwärts. Ab Montag muss ich wieder arbeiten.“
„Schade. Ich
bleibe noch eine Woche. Wäre sicher kurzweiliger mit dir gewesen.“
„Danke“,
meinte sie trocken. „Aber du wirst dich auch ohne mich nicht langweilen. – Ich
weiß da mindestens eine Person, die dir sicher liebend gern Gesellschaft
leistet. – Wenn sie nicht gerade daheim bei ihrem Gatten sein muss.“ Diese
Spitze hatte sie anbringen müssen.
Weil sie den
kindischen Seitenhieb aber sogleich bereute, sprach sie schnell weiter. „Der
Gardasee ist nicht umsonst bei deinen und meinen Landsleuten so beliebt. Ich
finde es hier besonders schön, wenn gerade alles zu blühen angefangen hat, wie
jetzt im April. Aber es ist so oder so eine schöne Gegend und rings um den See
gibt es etliche lohnende Ausflugsziele. Ich genehmige mir hier jedes Mal wenn
ich von Salerno zurückfahre, mindestens ein, zwei Tage.“
„Das hört
sich für mich so an als wärst du solo. Gibt es keinen Freund, keinen Ehemann?“
Mit dieser
Frage hätte sie rechnen sollen. Nach kurzem Zögern sagte sie: „Doch. Noch.“
„Noch? –
Lebst du in Scheidung?“
Sie nickte
und ihre Miene wurde abweisend. Er sollte nur ja nicht weiter fragen. Mit
Erleichterung sah sie das Serviermädchen mit den bestellten Eisbechern nahen.
Sie machten
sich sogleich darüber her. Das Thema Scheidung wurde nicht mehr erwähnt.
Nachdem sie
ihre Becher leer gegessen, und Adrian bezahlt hatte, fragte er: „Gehen wir noch
zum Strand?“
Unwillkürlich beschleunigte sich Francescas Herzschlag. Er wurde zum wilden
Galopp, als Adrian eine Hand hob und mit zarten Fingern ihre Gesichtskonturen
nachzeichnete. Wie hätte sie da nicht an das Bild denken sollen, das er und die
schöne Gianna im ‚Peppino’ geboten hatten?
„Schsch“,
machte er. „Lass uns einfach den Augenblick genießen, ja?“
Francesca
stellte ihre Erinnerung ab und ihren Widerstand ein und überließ ihm ihre Hand.
Während sie zum Strand unterwegs waren, versuchte sie sich über ihre
Empfindungen klar zu werden. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Drang
davonzulaufen, und einer bangen, sehnsuchtsvollen Erwartung.
Über eine
Treppe gelangten sie an den Strand. Am Ufer stehend lauschten sie dem sanften
Schwappen und Glucksen und beobachteten das verzerrte Spiegeln des Mondes auf
der sich kräuselnden Wasseroberfläche.
In
Francescas Bauch begann es zu kribbeln, als Adrian sie an sich zog. Wie lange
war es her, dass ein Mann sie so im Arm gehalten hatte? Dass sie sich begehrt
fühlte? Zu lange, sagte sie sich. Viel zu lange. Sie war jetzt sechsunddreißig
und hatte nur mit zwei Männern geschlafen. Und beide hatten sich als
Enttäuschung entpuppt.
Sie fragte
sich wie es mit Adrian sein würde; sie wollte es wissen. Aber sie konnte sich
nicht auf einen Mann einlassen, ohne ihre Gefühle zu beteiligen, und sie wusste
schon jetzt, dass auch dieses Intermezzo schmerzlich für sie enden würde.
Dennoch brach der Wunsch nach Zärtlichkeit, nach der zumindest kurzfristigen
Illusion, einem Mann etwas zu bedeuten, übermächtig über sie herein. Sie fing zu
zittern an.
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