DER SANDLER
Vor ein paar Monaten, in Innsbruck, am Bozner-Platz. Für kurze
Zeit – bis zur Abfahrt des Zuges – will ich noch die herbstlich-warmen
Sonnenstrahlen genießen.
Eben noch hatte ich die Parkbank für mich allein; jetzt lässt
sich ein Mann neben mir nieder. Ein verwahrloster Kerl. Ein Sandler. Ich ziehe
mich bis ans Ende der Sitzfläche zurück, innerlich die Nase rümpfend. Aus den
Augenwinkeln mustere ich meinen Nachbarn. Ausgebeulte, verdreckte Hose,
formloser Parka in verwaschenem Graublau, ... nicht mehr ganz sauber.
Sofort rattert mein Gehirn los ... Ein ehemaliger
Gelegenheitsarbeiter, ... früh dem Alkohol verfallen, ... arbeitsscheu.
„Na komm schon, komm.“, höre ich ihn auf einmal murmeln. Ein
Zungenschnalzen. „Ich tu’ dir schon nichts.“ Seine Rechte streckt sich einer
Taube entgegen, die misstrauisch, außerhalb seiner Reichweite, mit wippendem
Köpfchen herumtrippelt.
Ich gebe mich unbeteiligt. Aber ich bin ganz Ohr, ... und
etwas regt sich in mir. Da schaut er mich an, aus blutunterlaufenen Augen. Ein
zaghaftes Lächeln legt sich auf seine Züge. Ich wende den Blick ab. Ich spüre.
... Seine Einsamkeit. ... Es ist wie etwas Körperliches.
Schon sehe ich etwas ganz anderes: Ein Mann, verheiratet.
Kinder, ... Beruf, ... Familienidylle.
Und dann: ... Kündigung. ... Arbeitssuche. ... Vergeblich.
Schulden. ... Streit. ... Unzufriedenheit. ... Scheidung. Rapider Absturz.
So könnte es gewesen sein ...
Verunsicherung, Beschämung, und eine leise Traurigkeit in mir,
erhebe ich mich und mache mich davon.
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