Vom Wert des Individuums ...
„Oje! Ich bin auf eine
Spinne getreten. Das wollte ich nicht.“, jammert das Kind und putzt hastig den
Schuh an der Stiegenkante ab.
„Mach kein Theater! - Ist
doch bloß eine Spinne! Nichtsnutziges Ungeziefer.“
„Ich hab’s gesehen, - du
hast den Wurm mit Absicht zerquetscht!“, schimpft das Mädchen und deutet
beschuldigend auf den Boden.
„Na und? - Ein ekliges
Kriechtier weniger! Und außerdem: Ein Wurm spürt doch eh nichts!“
„Was liegt denn da? - Eine
Amsel! Hat sich wohl an der Fensterscheibe das Genick gebrochen.“, bedauert die
Frau und wickelt den starren Vogelkörper in ein Papiertaschentuch.
„Was soll’s? - Was macht
schon ein Vogel mehr oder weniger?! Die gibt’s doch in unendlicher Anzahl.“
„Das ist ja eine Katze! –
Hat der Fahrer denn nicht ausweichen können? Oder ist er etwa gar absichtlich
drauflosgefahren?“, argwöhnt der Halbwüchsige, und zieht den Tierkadaver von der
Straße weg.
„Und wenn schon? - Katzen
vermehren sich doch kaum weniger rasant als Karnickel.“
„Arme Kuh! Ein Leben lang
brav Kälber gebären und Milch geben. Und zum Dank ...“, murmelt die Frau und
streicht dem Tier abschiednehmend über den abgesenkten braunen Rücken.
„Kein Grund, rührselig zu
werden! – Das ist nun mal das Schicksal einer alten Kuh, die zu nichts mehr zu
gebrauchen ist!“
„Schau schnell! – Ist der
Hirsch nicht prächtig? Lebend ist er doch viel eindrucksvoller als tot!“,
entfährt es dem Mann, in der Stimme etwas wie Ehrfurcht.
„Ach was! – Lass doch den
Jägern ihren Stolz! Wer, - denkst du - hält den Wildbestand unter Kontrolle?!“
„Hast du den Artikel über
die Tiertransporte gelesen? Und die Bilder dazu gesehen? – Da dreht sich einem
ja der Magen um!“, seufzt die Frau und schiebt die Zeitschrift angewidert von
sich.
„Übertreib’ nicht! - Das
sind doch nur Viecher! Die waren sowieso auf dem Weg zum Schlachthof.“
„Das arme Tier ist
jämmerlich zugrunde gegangen! - Was für ein Mensch ist das, der einen Hund in
der Wildnis an einen Baum bindet und sich selbst überlässt?“, fragt der junge
Bursche, Betroffenheit in Stimme und Blick.
„Reg’ dich nicht auf! – Ist
doch nur ein Hund. Davon gibt’s mehr als genug.“
„Das muss man sich
vorstellen! - Einhundertneunundachtzig Abtreibungen im vergangenen Jahr!“,
seufzt das Mädchen, und tippt mit dem Zeigefinger auf einen Artikel in der
Tageszeitung.
„Dramatisier’ das nicht! –
Das sind ja noch gar keine richtigen Menschen.“
„Hast du schon gehört? -
Das Kind von den Nachbarn ist gestorben.“, zeigt sich die Frau geschockt und
wischt sich über die Augen.
„Das Behinderte? – Ist
wahrscheinlich besser so. Hat doch ohnehin nichts vom Leben gehabt.“
..... Ein toter
Mensch auf dem Asphalt .....
Kein Anlass zum Innehalten,
Nachdenken, Bedauern.
Der Tod gehört zum Leben.
Die Erde ist
ohnehin überbevölkert. Also, - was soll’s?
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