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Einmal nur...
"Hollywoods neuester Liebling fühlt sich
permanent von aufdringlichen Fans und Reportern verfolgt." Die Schlagzeile
prangte in dicken Lettern über dem Foto des Schauspielers. Die Hände wie zur
Abwehr erhoben, das Gesicht abgewandt, so tat der heißumworbene Youngstar
seinen Mißmut kund.
'Warum regt sich der Typ bloß so auf?' Peter verstand das nicht. Er hätte nichts
dagegen gehabt, einmal im Mittelpunkt zu stehen. Umjubelt, gelobt, umschmeichelt
und umworben. Sei es auch nur für einen einzigen Tag. Oh Mann, das müsste ein
Feeling sein!
Auf der übernächsten Seite wurde ein abstraktes Gemälde beurteilt, und sein
Erschaffer, ein vor dem Kunstwerk lässig posierender Maler, in den höchsten
Tönen geprießen.
In Peter erwachte echter Neid auf dieses Überbleibsel aus der Hippie-Ära, das
sich so offensichtlich in der Überzeugung seines Könnens und der Huldigung
seiner Bewunderer suhlte. Weniger auf dessen Können - das er ohnehin anzweifelte
- sondern auf dessen gelungene Selbstdarstellung.
Er legte den Gesellschafts-Teil beiseite und nahm den Nachrichten-Teil zur Hand.
Eine weitere fettgedruckte Überschrift stach ihm ins Auge: "Dreizehnjähriger
rettet Kleinkind vor dem Ertrinken."
Dem Lebensretter war eine halbe Zeitungsseite gewidmet.
Das wär's!
Stars und Künstler gab es viele, aber Helden, echte Helden, waren spärlich
gesät. Einmal im Leben für Schlagzeilen in den Medien sorgen! Positive
Schlagzeilen natürlich. Als Held. Als Lebensretter. Einmal sich aus der
Anonymität der Massen, aus der Mittelmäßigkeit, erheben!
Peter wackelte resigniert mit dem Kopf und schlürfte seinen Frühstücks-Tee. Die
Möglichkeit, ein Menschenleben zu retten, bot sich nicht jedem dar. Er würde
sich auch weiterhin auf das Retten von Käfern, Faltern und anderem Kleingetier
beschränken müssen. Wie jene Biene, die sich wohl beim Lüften in seine Küche
verirrt hatte und nun verzweifelt gegen die Scheibe anflog.
Peter öffnete das Fenster und scheuchte das Insekt mit der Zeitung ins Freie.
Ein Schwall herrlich frischer Luft schlug ihm entgegen. Ein Blick zum Himmel
zeigte ihm, dass die Regenwolken sich gen Osten hin verzogen hatten, und die
Sonne sich anschickte, die Tropfen auf Blüten, Blättern und Gräsern in
schillernde Kristalle zu verwandeln.
Er sah auf die Uhr. Eine halbe Stunde Joggen ginge sich noch aus.
Drei Minuten später war er aus dem Haus und lief den Gehsteig entlang.
Auf dem Rückweg traf er in der Nähe des Schulgebäudes auf eine Gruppe raufender
Kinder. Zwei davon machten sich aus dem Staub, als er näher kam.
Peter verfiel in Schritt. Sollte er eingreifen? Kinder balgten sich nun mal.
Auch er hatte seinerzeit bei Auseinandersetzungen so manche blauen Flecken und
Abschürfungen davongetragen. Die hier entwickelte sich aber offenbar zu etwas
Brutalerem.
"Aufhören!", brüllte er.
Zwei der Burschen, über den dritten, den am Boden Liegenden, gebeugt, wandten
ihm ihre Köpfe zu. Scheinbar strahlte er eine gewisse Autorität aus, denn sie
ließen von ihrem Opfer ab und verzogen sich eilends.
Peter half dem unterlegenen Jungen auf die Beine. "Bist du verletzt?"
Er wollte den Schmutz von der Kleidung des Knaben klopfen, doch der stieß seine
Hand beiseite, knurrte: "Lassen Sie mich!", und humpelte von dannen.
Peter starrte ihm verblüfft hinterher. Dann mußte er schmunzeln. 'Soviel zu
deiner Heldentat ...'
Ein paar Tage darauf
begab sich Peter nach Dienstende zu Fuß auf den Weg nach Hause. Auf der
Bahnüberführung kauerte eine Frau tief über das Geländer gebeugt und starrte zu
den Gleisen hinunter.
Peter verlangsamte seinen Schritt. Etwas an der Haltung der Frau ...
'Die wird doch nicht ...!' Er ließ sie nicht aus den Augen. Sie rührte sich
nicht, sah nicht einmal auf, als er absichtlich geräuschvoll an ihr vorbeiging.
Kurz entschlossen machte er kehrt. "Entschuldigung ... Ist alles in Ordnung?"
"Was?" Die Frau, eigentlich noch ein Mädchen, fuhr herum.
"Ich fragte, ob alles okay ist?"
"Das ist ja eine ganz originelle Anmache!" Sprachs und stolzierte davon.
Peter warf fluchend den Hammer fort und steckte sich den Finger in den Mund.
Zwei Nägel krummgeschlagen; beim dritten Versuch statt des Nagels den Daumen
erwischt.
'Du gehörst eben zu der Kategorie der Denker und nicht zu den Handwerkern.',
hänselte er sich selbst, nachdem der Schmerz abgeklungen und die Frustration
verraucht war. Er beschloss, noch eine kurze Tour mit dem Rad zu unternehmen.
Der Abend war mild, die Luft durchtränkt von stimulierenden Frühlingsdüften.
Peter setzte sich auf eine Bank am Wegrand, lauschte dem Gesang der Vögel, dem
Summen der Insekten und schnupperte mit weit geblähten Nasenflügeln.
Schließlich fuhr er weiter. Der Tag klang im weichen Dämmerlicht aus. Da erst
lenkte Peter das Rad heimwärts.
Ruhig lag die Straße vor ihm, als er in das Villenviertel einbog. Die Menschen
saßen entweder noch beim Essen oder schon vor dem Fernseher.
Nur eine alte Frau schlurfte den breiten, mit uralten Kastanien gesäumten
Gehsteig entlang.
Auf einmal war ein Mann hinter ihr. Er mußte aus dem Tor, das sie eben passiert
hatte, gekommen sein.
Die Frau drehte sich schwerfällig um, als der Mann ihr auch schon einen Schlag
versetzte. Sie taumelte. Da sie ihre Tasche krampfhaft festhielt, schlug der
Täter gleich noch einmal zu. Die Frau brach zusammen, ging bäuchlings zu Boden
und rührte sich nicht mehr. Der Räuber bückte sich, riß die Tasche an sich, und
im Aufrichten fiel sein Blick auf Peter. Augenblicklich ergriff er die Flucht.
Nach der ersten Schrecksekunde trat Peter heftig in die Pedale. Eine mörderische
Wut hatte ihn gepackt. Er brauste an der wie leblos daliegenden Frau vorbei,
geleitet von dem unbändigen Drang, den brutalen Kerl zu erwischen.
Gleich, gleich hatte er ihn! Da schaute der Räuber über die Schulter zurück.
Peter sah das Erschrecken in dessen Gesicht, sah, wie er nach einer Möglichkeit
zum Entkommen suchte. Die Mauer zur Häuserseite hin war zu hoch zum
Drüberspringen. Blieb nur die Straße, die nach ein paar Metern eine andere
kreuzte.
Nach zwei, drei weiteren Sätzen wandte der Mann sich halb um, schleuderte die
Tasche der alten Frau gegen seinen Verfolger und spurtete an der Kreuzung um die
Ecke.
Peter verriß das Rad, geriet ins Trudeln und prallte gegen den Stamm eines
Kastanienbaumes. Das Vorderrad verbog sich, Peter wurde aus dem Sattel gehoben
und flog durch die Luft. Mit dem Kopf voran schlug er auf dem Asphalt auf.
Am Morgen darauf ...
Eine der Schlagzeilen der Tagespresse lautete:
"Handtaschen-Räuber auf der Flucht mit dem Fahrrad zu Tode gekommen ..."
© by Silvia Flür-Vonstadl 2007
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